Als ich vor 15 Jahren in den Süden von Chile kam, hatte ich eine klare Vorstellung davon, was mich erwarten würde: atemberaubende Landschaften, freundliche Menschen, eine neue Kultur – und natürlich exotische Gerichte. Was ich nicht ahnte, war, dass meine Beziehung zu einem der zentralsten kulinarischen Elemente des Landes – den Meeresfrüchten – einen tiefgreifender Wandel durchlaufen würde. Ich war nie Fan von Muscheln, Garnelen und all den anderen Kreaturen, die das Meer hergibt. Ich war nicht einmal Fischesser, obwohl ich seit meiner Kindheit begeisterter Angler bin – allerdings Catch and Release, fast exklusiv, abgesehen vom Braten einiger Selbstgefangener auf Bootsreisen mit meinem Opa in den Ferien. Doch die unaufhaltsame Kraft der chilenischen Küche zwang mich letztendlich doch, mich dieser Herausforderung zu stellen. Chilenische Meeresfrüchte – früher oder später probiert man sie doch.

Der erste Kontakt – Ein unwillkommener Bissen „Choro“

So wurde ich alsbald mit Choro(Muscheln) konfrontiert. Ich erinnere mich noch genau an den Moment, als man mir ein dampfendes Schälchen auf den Tisch stellte. Der Duft war… nun, intensiv. Frisch, maritim, aber irgendwie auch sehr überwältigend. Und obwohl ich innerlich sträubte, probierte ich aus Höflichkeit – schließlich war es Teil der chilenischen Kultur.

Chilenische Meeresfrüchte

Die erste Erfahrung war ein Schock. Die Textur war nicht das zähe, fischige Etwas, das ich in meiner Heimat gekannt hatte, sondern überraschend zart. Der Geschmack war salzig, ein wenig süß und schmeckte tatsächlich nach rauem, weitem Meer, das den Süden Chiles prägt. Obwohl anfangs skeptisch, war kaum zu leugnen, dass diese Muscheln besser waren als alles, was ich bisher aus dem Meer probiert hatte. Es war nur der Beginn einer kulinarischen Reise, die bis heute andauert.

Cochayuyo – Eine Delikatesse

Die nächsten „Herausforderungen“ ließen nicht lange auf sich warten. Cochayuyowar die nächste Überraschung aus dem Meer Chiles, die ich auf den Tisch bekam. Cochayuyoist eine Alge, die aussieht wie ein gummiartiges, ledriges Band. Der Anblick im getrockneten Zustand allein reichte eigentlich aus, um meine Abneigung gegen alles Meeresbasierte zu wecken. Aber in Wahrheit ist diese Alge in Chile ein wahres kulinarisches Goldstück, besonders in Suppen oder als Teil von Eintöpfen. Man sieht derweilen Chilenen an der Strasse stehen, die es verkaufen – und ich empfehle ausdrücklich anzuhalten, zu kaufen und Rezepte auszutauschen!

Ich konnte anfangs kaum fassen, dass sich ein einfaches, zähes Stück Alge zu einem Geschmackserlebnis entpuppte. Es hat eine natürliche Salzigkeit und eine erstaunliche Tiefe in Textur und Geschmack. Auch in der klassischen südchilenischen Empanadamit Hackfleisch schmeckt die Alge hervorragend und gibt ihr eine ganz eigene Note. Die Besten in Südchile habe ich bisher in Bahia Mansa am Meer in der Nähe von Osorno direkt am Hafen gegessen – sehr empfehlenswert! Die Alge hat ihre eigene Geschichte, die eng mit der chilenischen Identität verbunden ist – sie ist ein Überbleibsel aus der Zeit der Mapuche, die diese Algen als Nahrungsmittel nutzten.

Cochayuyu in Südchile

Curanto – Ein Highlight chilenischer Meeresfrüchte

Schliesslich liess auch das Curanto nicht lange auf sich warten. Es gibt kaum ein Gericht, das so sehr für die südchilenische ländliche Küche steht. Ein Mix chilenische Meeresfrüchte wird in einem Erdofen gekocht, in dem die Hitze von Steinen, die in ein Loch eingegraben werden, alles garen. Das ursprüngliche Curanto von der Insel Chiloékombiniert Meeresfrüchte, Fleisch, Kartoffeln, Mais und Gemüse in einer riesigen Schicht, die in den Erdboden eingegraben wird. Für mich klang das nach einem kulinarischen Abenteuer, und ich wurde nicht enttäuscht! Danach war ich einige Jahre lang in Folge auf den Curanto-Wochen auf der Insel Chiloé zugegen – sehr zu empfehlen!

Der Geschmack von frisch gegrillten Muscheln, kombiniert mit dem zarten Schweinefleisch und den erdig-rochenden Kartoffeln, ist unbeschreiblich. Dieses Gericht ist nicht nur nahrhaft, sondern hat auch eine Geschichte zu erzählen: Es wird seit Jahrhunderten in den südlichen Regionen Chiles zubereitet.

Chilenische Meeresfrüchte im Curanto auf der Insel Chiloe in Südchile

Es gibt auch eine einfachere, schnellere Version von CurantoCuranto al hoyo, bei der die Zutaten in einem großen Topf statt im Erdofen gekocht werden. Diese Zubereitung ist in vielen chilenischen Haushalten in Südchile eine beliebte Methode, um die traditionellere Version nachzukochen. Auch hier kommen die Aromen der Meeresfrüchte wunderbar zur Geltung, ohne dass der Aufwand eines Erdofens nötig ist. Der Chilene nennt es auch Pulmay!

Pulmay, Curanto aus dem Topf, in Südchile

Mariscos al Natural – Frische chilenische Meeresfrüchte

Doch nicht jedes Meeresfrüchte-Gericht in Chile muss so komplex sein wie Curanto. Ein weiteres Lieblingsgericht, das ich erst später entdeckte, ist Mariscos al Natural– Meeresfrüchte in ihrer reinsten Form. Muscheln, Krabben, Garnelen, Miesmuscheln und andere Meerestiere werden einfach nur mit frischem Zitronensaft, Knoblauch, Zwiebeln und manchmal einem Hauch von Olivenöl serviert. In ihrer Frische und Einfachheit kommen die natürlichen Aromen des Ozeans perfekt zur Geltung.

Als ich das zum ersten Mal in einem kleinen Restaurant in Puerto Montt probierte, war ich erstaunt über die Frische und Intensität des Geschmacks. Jede Muschel war zart, jeder Bissen der Krabbe ein absoluter Genuss. Der Geschmack des Meeres war überhaupt nicht aufdringlich. Danach folgten zahlreiche weitere Besuche im Hafenviertel von Puerto Montt, genannt Angelmó. Dort mieten lokale Hausfrauen kleine Buden und kochen chilenische Meeresfrüchte wie „bei Muddern zuhause“. Mein erstes Alltagsspanisch habe ich auch dort gelernt und später dannso manche Bekanntschaft gemacht, die bis heute anhält.

Geräucherte Muscheln in Angelmó, Puerto Montt an einem Verkaufsstand chilenischer Meeresfrüchte

Probieren geht über Studieren

Meine Reise von einem Meeresfrüchtemuffel zu einem Liebhaber der chilenischen maritimen Küche war lang. Es gab Momente der Unsicherheit, der Skepsis und des Überwindens. Aber letztlich hat mir die chilenische Küche gezeigt, dass man sich auf die Einfachheit und Frische von Zutaten einlassen muss, um den wahren Geschmack des Meeres zu erleben.

Mein Tipp: wenn du nach Chile reist, probiere die Muscheln, wage dich an Curanto, koste die frischen Meeresfrüchte und entdecke das kulinarische Angebot des südchilenischen Ozeans. Und wer weiß – vielleicht wirst auch du, wie ich, ein echter Liebhaber dieser einzigartigen Küche. Gerade zur für den kleinen Süden Chiles sehr fleischlastigen Küche stellen Meeresfrüchte hier eine nette und lokal typische Abwechslung dar. Und zum Meer ist es in Chile glücklicherweise nie zu weit zu fahren.