Servus und ¡Hola aus dem wunderschönen Süden Chiles! Kennen Sie das? Dieses leise Gefühl, dass da noch mehr sein muss? Dass der Alltagstrott, so bequem er manchmal scheint, irgendwie nicht alles sein kann? Vielleicht träumen Sie von weiten Landschaften, von mehr Raum zum Atmen – buchstäblich und im übertragenen Sinne. Vielleicht ist es der Wunsch, dem Hamsterrad zu entkommen, dem Gefühl der Fremdbestimmung, den immer gleichen Nachrichten und Sorgen. Für viele Menschen mündet diese Sehnsucht in den Gedanken ans Auswandern. Und immer öfter fällt der Blick dabei auf Chile, genauer gesagt: ein mögliches Leben in Südchile. Mit seinen Seen, Vulkanen, Wäldern und einer Lebensart, die oft als ruhiger und erdverbundener beschrieben wird.

Aber was steckt wirklich dahinter? Ist es nur die Flucht vor etwas oder die Suche nach etwas Bestimmtem? Ich glaube, es ist oft Letzteres. Eine unbewusste Suche nach der Erfüllung tiefer menschlicher Bedürfnisse: dem Wunsch nach Autonomie, also selbstbestimmt zu leben; dem Streben nach Kompetenz, also Herausforderungen zu meistern und daran zu wachsen; und dem Bedürfnis nach Verbundenheit, sowohl mit anderen Menschen als auch mit der Natur.

Neulich habe ich faktisch um die Hausecke im Nationalpark Puyehue mitten in der Wildnis jemanden getroffen, der diesen Schritt gewagt hat. Sachen gibt´s, die gibt´s net! Manfred L., ursprünglich aus der Nähe von Wien, hat vor gut acht Jahren seine Zelte in Österreich abgebrochen und sich ein neues Leben am Ufer des Lago Puyehue aufgebaut. Zwischen dem beeindruckenden Panorama des Sees und der schneebedeckten Vulkankette hat er nicht nur ein Haus renoviert und noch eins gebaut, sondern auch, wie er sagt, „a Stückerl Heimat“ gefunden.

Ich traf dann Manfred an einem sonnigen Herbsttag auf seiner Terrasse, der Duft von frisch gesägtem Holz lag in der Luft, und der Blick über den ruhigen See tat sein Übriges. Bei Kaffee und einem Stück selbstgebackenem Kuchen (ja, manche Traditionen bringt man mit!) haben wir uns unterhalten. Über seine Gründe, seine Erfahrungen und darüber, was das Leben hier im Süden Chiles für ihn wirklich bedeutet.

Ich: Servus Manfred, danke, dass du dir die Zeit für uns nimmst. Ist ja schon ein Wahnsinn, dieser Ausblick hier!

Manfred: (Lacht) Griaß di! Ja, gell? Daran kann i mi nach acht Jahr immer no net sattsehen. Setz di her! Kaffee?

Ich: Gern, danke! Sag, Manfred, die Frage brennt mir auf der Zunge: Wie verschlägt’s denn an g’standenen Österreicher, an Wiener sozusagen, ausgerechnet hierher an den Puyehue-See? Das ist ja doch am anderen Ende der Welt.

Manfred: (Nimmt einen Schluck Kaffee, blickt über den See) Puh, gute Frage. A lange G’schicht, aber i versuch’s kurz zu machen. Dahoam in Österreich… es war eh alles passt scho, versteh mi net falsch. Guter Job in ana technischen Firma, Freunde, Familie, alles da. Aber irgendwie… irgendwie hab i mi immer mehr g’fühlt wie in am goldenen Käfig. Alles war so durchgeplant, so geregelt, so… eng. Verstehst, was i mein? Jeder Tag gleich, die gleichen Sorgen, der gleiche Trott. Und i hab g’merkt, i will des net mehr. I will mehr selber bestimmen können, wie mei Leben ausschaut. Mehr Raum, mehr Luft.

Ich: Das Gefühl kennen sicher viele unserer Leser. Dieses Streben nach mehr Autonomie, nach Selbstbestimmung. War Chile da von Anfang an der Plan?

Manfred: Net direkt. I war a paarmal auf Reisen, Südamerika hat mi immer schon fasziniert. Und dann war i mal hier im Süden Chiles im Urlaub. Llanquihue, Frutillar, und eben auch hier am Puyehue. Und des hat mi irgendwie net loslassen. Diese Landschaft, diese Weite… des is a Kraft, die spürst. Und die Leut‘ waren anders. Ruhiger, vielleicht a bisserl reservierter am Anfang, aber wennst mal an Draht g’funden hast, unglaublich herzlich und hilfsbereit. Da hab i mir gedacht: Hier könnt‘ i leben. Hier könnt‘ i was aufbauen, was mei Projekt is.

Ich: Und dann hast du den Sprung gewagt. War’s denn dann eh so, wie du’s dir vorgestellt hast? Oder gab’s da ordentliche Überraschungen, vielleicht auch Hürden?

Manfred: (Lacht wieder, diesmal etwas lauter) Mei, na klar gab’s die! Wer glaubt, Auswandern is a Spaziergang, der irrt si gewaltig. Des is harte Arbeit, jeden Tag aufs Neue. Am Anfang war’s… zach, muss i ehrlich sagen. Die Sprache! Mei Spanisch war am Anfang a Graus, grad mal so für ‚una cerveza, por favor‘. Da stehst dann beim Amt oder im Baumarkt und verstehst nur Bahnhof. Da musst durch, da hilft nix. Vokabeln lernen, Hände und Füße benutzen, Geduld haben. A riesen Lernprozess, aber hey, jetzt kann i mi verständigen, kann verhandeln, kann Witze machen – auf Spanisch! Des is a Gefühl, des is unbezahlbar. Des gibt dir so a Gefühl von… ja, dassd was g’schafft hast, dassd des gemeistert hast.

Ich: Das klingt nach dem Bedürfnis nach Kompetenz – die Herausforderung annehmen und daran wachsen.

Manfred: Genau! Und des is net nur die Sprache. Die Bürokratie hier… heilig’s Blechle! Da brauchst an langen Atem und am besten an guten Freund, der di a bisserl lotst. Oder eben professionelle Hilfe, des hätt‘ i mir am Anfang öfter gewünscht, hätt‘ mir viel Zeit und Nerven g’spart. Und dann natürlich des Praktische. I hab ja des Haus hier großteils selber renoviert und ausbaut. Dahoam hätt‘ i für jeden Schmarrn an Handwerker g’rufen. Hier lernst halt, vieles selber zu machen. Improvisieren, Lösungen finden, mit dem arbeiten, was da is. Manchmal fluchst, dass di d’Wänd anhören, aber wenn’s dann fertig is… des is a Stolz, den kennst sonst net. Du merkst, was du alles schaffen kannst, wennst musst – und willst.

Ich: Das klingt, als hättest du hier wirklich Wurzeln geschlagen. Was hält dich denn jetzt hier? Was ist das Besondere am Leben am Puyehue, das du in Österreich vielleicht vermissen würdest?

Manfred: (Lehnt sich zurück, schaut wieder auf den See) Es san mehrere Sachen. Ganz oben steht sicher diese Freiheit, von der i g’redt hab. I kann hier viel mehr selber gestalten. Mein Tagesablauf, mei Arbeit – i hab ja a kleine Werkstatt aufbaut, mach so Holzarbeiten, kleine Möbel, was grad anfällt. Des entscheid‘ i selber. Es is net so a G’hetze wie dahoam. Klar, Arbeit gibt’s genug, aber der Druck is anders. Weniger von außen, mehr von innen, weil i’s ja für mi mach.

Und dann is da diese Verbundenheit. Klingt vielleicht kitschig, aber es is so. Zum einen mit den Leuten. Wie g’sagt, die Chilenen hier im Süden san vielleicht net sofort die großen Redner, aber wenns drauf ankommt, halten’s z’samm. Die Nachbarn helfen sich, man kennt sich, man ratscht übern Gartenzaun. I fühl mi hier angenommen, als der ‚Gringo‘, der i halt bin, aber i g’hör dazu. Des is a warmes Gefühl.

Und zum anderen, die Natur. Schau di um! (Macht eine weite Geste) Dieser See, die Wälder, der Vulkan da drüben… Des is Balsam für die Seel‘. Wenn i am Morgen mit’m Kaffee hier sitz und die Sonne geht überm See auf, oder wenn i am Abend den Sternenhimmel seh‘, der hier so klar is wie sonst nirgends – des erdet di. Des gibt dir a Perspektive. Du fühlst di als Teil von was Größerem. Des is a Verbundenheit, die i dahoam so nie g’spürt hab. Dieses Gefühl, gleichzeitig diesen unglaublichen Weitblick zu haben (er zeigt auf den See und die Berge – Prospect) und trotzdem mei eigenes, sicheres Platzerl, mei Refugium hier (er deutet auf sein Haus und die Werkstatt – Refuge), des is scho leiwand.

Ich: Das klingt nach einer tiefen Zufriedenheit. Wie schaut denn so dein Alltag aus? Fühlst du dich voll integriert?

Manfred: Alltag? Den gibt’s net so wirklich. Jeder Tag is anders. Mal bin i in der Werkstatt, mal fahr i nach Osorno zum Einkaufen oder Material besorgen, mal treff i mi mit Nachbarn zum Asado, mal geh i einfach nur wandern im Nationalpark. Langweilig wird’s net! (Grinst) Integriert… ja, i glaub schon. I sprech die Sprache, i kenn die lokalen Gepflogenheiten, i hab chilenische Freunde. Klar, i bleib immer der Österreicher, meinen Akzent werd i nie ganz los, und manchmal versteh i den lokalen Schmäh immer no net ganz. Aber des is ja auch okay. Man muss ja net seine Wurzeln verleugnen. Aber ja, i fühl mi hier dahoam. Mehr als i mi die letzten Jahre in Österreich dahoam g’fühlt hab.

Ich: Eine letzte Frage, Manfred. Was würdest du jemandem raten, der vielleicht gerade diesen Artikel liest und mit dem Gedanken spielt, den Schritt nach Südchile zu wagen? Vielleicht sogar aus Österreich oder Deutschland?

Manfred: (Wird ernst) Puh. Guter Rat is teuer, gell? Erstens: Net blauäugig sein. Chile is wunderschön, aber es is ka Paradies. Es gibt Probleme, es gibt Herausforderungen, es gibt Dinge, die anders laufen, als man’s gewohnt is. Man muss bereit sein, sich anzupassen und zu lernen. Zweitens: G’scheit vorbereiten. Finanziell muss a Polster da sein, grad am Anfang. Und die Bürokratie für Visa und Co. – des is a eigenes Kapitel. Da sollt‘ man sich unbedingt vorher gut informieren oder eben Hilfe holen. Drittens: Spanisch lernen! Des is das absolute Um und Auf. Ohne Sprache bist aufg’schmissen und kommst nie richtig an.

Aber – und des is des Wichtigste: Wenn’s Herz ‚ja‘ sagt, wenn dieser Ruf da is, dann sollt‘ man’s zumindest ernsthaft prüfen. Net nur träumen, sondern recherchieren, vielleicht mal für längere Zeit herkommen, mit Leuten reden. Und wenn’s dann immer no passt… ja, dann muss man vielleicht einfach mutig sein. Es is a riesen Schritt, aber er kann sich lohnen. Für mi hat er sich definitiv g’lohnt. Aber jeder muss seinen eigenen Weg finden.

Ich: Manfred, vielen herzlichen Dank für deine Offenheit und diese Einblicke in dein Leben in Südchile. Es war unglaublich spannend!

Manfred: Gern g’schehn! Kommts wieder mal vorbei, wenn’s in der Gegend seids!