Die Faszination des Südens
Viele Deutsche träumen davon, ihr Leben in Mitteleuropa hinter sich zu lassen und in den „Süden“ auszuwandern. Gemeint sind damit aber zunächst oft beliebte Länder wie Spanien, Italien, Portugal oder Griechenland, nicht das Auswandern nach Südchile! Denn die ersteren locken mit mildem Klima, entspanntem Lebensstil und kulinarischen Genüssen. Doch was steckt hinter dieser Faszination? Und welche Herausforderungen erwarten Auswanderer wirklich?
Die Psychologie der Auswanderung: Träume, Motive und Realitäten
Push- und Pull-Faktoren: Nach Südchile auswandern?
Psychologische Studien zeigen, dass Migrationsentscheidungen oft durch eine Kombination aus „Push-“ und „Pull-Faktoren“ motiviert werden. Push-Faktoren sind Gründe, die Menschen aus ihrem Herkunftsland vertreiben, während Pull-Faktoren sie in das Zielland ziehen.
- Push-Faktoren in Deutschland: Steigende Lebenshaltungskosten, zunehmender beruflicher Druck, kaltes und graues Wetter, sowie eine als überreglementiert, hektisch und zerworfen empfundene Gesellschaft.
- Pull-Faktoren des Südens: Sonnenschein, entspannte Lebensweise, günstigere Immobilienpreise auf dem Land, niedrigere Lebenshaltungskosten und eine oft als „herzlicher“ empfundene Sozialkultur.
Auch Südchile verfügt über diese Pullfaktoren – Besucher sind zunächst begeistert von den herrlichen Kulissen, den grünen Wiesen, Bergkämmen, Seen und Wasserfällen. Dabei geraten aber oft die selbst in Chile existierenden kulturellen Unterschiede sehr stark in den Hintergrund. Zwar werden die Chilenen auch die „Preussen Südamerikas“ genannt, und hat die Gesellschaft eine doch stärker europäische als südamerikanische Ausstrahlung, treten nach einer Zeit der Eingewöhnung offensichtliche Unterschiede zutage. Um deren Existenz zumindest zu wissen und sie anzuerkennen, das erhöht entscheidend die Wahrscheinlichkeit, dass man hier in Südchile langfristig Fuss fassen können wird.
Die Illusion der „besseren“ Lebensqualität?
In diesem Zusammenhang ist der sogenannte „Utopia Bias“ ein interessanter psychologischer Aspekt. Das heisst, viele Menschen neigen dazu, ihr Wunschziel zu idealisieren, indem sie negative Aspekte ausblenden. Gerade soziale Medien verstärken diese Illusion: Berichte auf Instagram und YouTube zeigen perfekte Bilder von Auswanderern, die am Strand arbeiten oder in malerischen Altstädten leben. Doch die meisten Studien zum Thema belegen, dass letztendlich die langfristige Lebenszufriedenheit nach einer Auswanderung oft nicht dem vorherigen Ideal entspricht.
Kulturelle Anpassung und Identitätskonflikte
Es gibt im Wesentlichen nur vier Anpassungsstrategien, die Migranten langfristig verfolgen können:
- Assimilation – komplette Anpassung an die neue Kultur.
- Integration – Beibehaltung der eigenen Kultur mit gleichzeitiger Anpassung an die neue.
- Separation – Leben in einer „deutschen Bubble“ ohne Anpassung.
- Marginalisierung – Verlust von Bindung zu beiden Kulturen.
Viele Auswanderer – auch Deutsche, die nach Südchile auswandern – durchlaufen eine „kulturelle Ernüchterungsphase“. Denn sie stellen fest, dass ihr deutscher Anspruch an Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Organisation nicht immer mit südlichen Mentalitäten harmoniert.
Praktische Hürden des Neuanfangs
Landerwerb und Immobilienkauf: Ein Minenfeld?
Der Traum vom eigenen Land, Haus und Geschäft scheitert auch oft genug an der Bürokratie und naiven Vorstellungen. In vielen südlichen Ländern, so auch in Chile, sind Immobilienmärkte weniger reguliert als in Deutschland. Allerdings ist Chile – ein grosser Vorteil – ein Land mit einer sehr hohen Rechtssicherheit. Und trotzdem würden wir immer dazu raten, einen eigenen Anwalt einschalten, sich über spezifische Grundbuchregelungen zu informieren, nie ohne notarielle Bestätigung kaufen und sämtliche geschäftliche Verträge immer von den eigenen Anwälten gegenprüfen lassen. Wer als Einwanderer lange im Land lebt, lernt genügend Fälle kennen, in denen der eine oder andere Fehler zu einer persönlichen Tragödie geführt hat, die – gelinde gesagt – zu vermeiden gewesen wäre.
Sprachliche Barrieren: Ein unterschätztes Problem
Laut vielen Studien haben viele Auswanderer auch Probleme mit der neuen Sprache, was zu sozialer Isolation führen kann. Die „Small-Talk-Kultur“ in Südländern ist oft stärker ausgeprägt als in Deutschland. Ohne wachsende Sprachkenntnisse und regelmässige Kontakte zur Bevölkerung bleibt man oft in der Expat-Blase gefangen. Auch in Südchile ist die sehr ausgeprägt. So mancher kam über das tägliche „Como estás?„, „¡Muy bien!“ nie heraus. Sogar in einigen Gegenden im kleinen Süden bleiben die Auswanderer oft unter sich. Was allerdings für die Nachkommen der eingewanderten Europäer im Süden Chiles ganz in Ordnung ist, das muss noch lange nicht für einen Auswanderer aus Deutschland funktionieren. Dessen muss und sollte man sich ganz klar bewusst sein.
Erfolgreich nach Chile auswandern
Realistische Erwartungen entwickeln
Es hilft, sich nicht nur auf die Vorteile, sondern auch auf die Herausforderungen vorzubereiten. Studien zeigen, dass Menschen mit realistischeren Erwartungen eine höhere Zufriedenheit nach der Auswanderung haben. Hier hilft es, positive und negative Erfahrungsberichte zu sondieren, sich frühzeitig beraten zu lassen, die Sprache bereits vor der Auswanderung wenigstens basisch zu erlernen.
Soziale Netzwerke frühzeitig aufbauen
Eine gute Integration gelingt oft durch aktive soziale Einbindung. Der Kontakt zu Einheimischen verbessert nicht nur die Sprachkenntnisse, sondern verhindert auch, in einer „deutschen Insel“ zu verharren. Man sollte Kontakte ins Zielland knüpfen, sich gleichzeitig mit potenziellen Auswanderern zusammentun und langjährig Ausgewanderte kennenlernen, bevor man den Schritt wagt.
Geduld mit sich selbst haben
Die psychologische Anpassung an ein neues Land kann Monate oder sogar Jahre dauern. Viele Auswanderer erleben anfangs Euphorie, gefolgt von einem „Kulturschock“, bevor sie sich langsam einleben. So ist das auch für den Süden Chiles ganz typisch, wenn ich meinen Bekanntenkreis abklopfe.
Die meisten Studien – wie die unten – zeigen, dass die positiven und negativen Wahrnehmungen der eigenen Auswanderung erst bei länger Ausgewanderten abnehmen und sich ausbalancieren. In der Realität kennt jeder Auswanderer viele Fälle, in denen Krisen entlang dieser Entwicklung nicht überwunden werden konnten.

Auswandern nach Südchile – Wie vorbereiten
Wer nach Südchile auswandern will, für den ist der kleine Süden sicherlich ein Traumziel – aber kein Selbstläufer. Wer erfolgreich auswandern möchte, sollte nicht nur von immergrünen Wiesen, Wäldern und Fly Fishing träumen, sondern sich auch mit der Realität auseinandersetzen. Psychologische Vorbereitung, sprachliche Kompetenz und eine realistische Sichtweise sind neben anderen Faktoren entscheidende Grundvoraussetzungen für eine langfristig erfolgreiche Migration.
Hier geht es zum Blog und zu vielen weiteren Eindrücken und Tipps zum Ankommen im Süden Chiles.
Fachliteratur zum Thema Auswandern
- Berry, J. W. (1997). Immigration, acculturation, and adaptation. Applied Psychology: An International Review, 46(1), 5-34.
- Dewaele, J.-M., & Wei, L. (2013). Is multilingualism linked to a higher tolerance of ambiguity? Bilingualism: Language and Cognition, 16(1), 231-240.
- Kahneman, D., & Tversky, A. (1979). Prospect theory: An analysis of decision under risk. Econometrica, 47(2), 263-291.
- Lee, E. S. (1966). A theory of migration. Demography, 3(1), 47-57.
- Schmitz, P. G. (2015). Psychologische Aspekte der Migration. In Handbuch interkulturelle Kommunikation und Migration (pp. 77-94). Springer.
- Ward, C., Bochner, S., & Furnham, A. (2001). The psychology of culture shock. Routledge.